Wir Eltern lösen oft unbewusst Schuld und Scham bei Kindern aus. Beides ist nicht förderlich für die gesunde Entwicklung.

Toxische Scham

Scham ist eine der menschlichen Grundemotionen, die die Evolution hervorgebracht hat, um das soziale Miteinander zu regeln. Sie sind nichts speziell Deutsches, man findet diese in allen Winkeln der Erde, egal wie modern oder wie ursprünglich eine Gesellschaft ist.

Der Vollständigkeit halber:
Zu den menschlichen Grundemotionen gehört außer Scham auch Wut • Verachtung • Abscheu • Verlegenheit • Schuld • Trauer • Angst • Stress • Hass.
Zu der eher sonnigen Seite gehören Freude • Dankbarkeit • Neugier • Hoffnung • Stolz • Vergnügen • Inspiration • Ehrfurcht • Liebe.

Scham an sich ist eine super Erfindung!

Unser soziales Verhalten wird unbemerkt von Scham geregelt und ohne sie sähe das Miteinander ganz anders aus. Wenn zum Beispiel unser Gegenüber kein Schamgefühl hat, dann merkt er auch nicht, wann er uns zu Nahe tritt. Ein Mensch ohne Scham sagt und tut Dinge, die uns beschämen. Deswegen sind wir von Menschen ohne Scham befremdet und gehen ihnen lieber aus dem Weg.

 

Wann empfinden wir das erste Mal im Leben Scham?

Etwa mit 6-9 Monaten empfinden wir zum ersten Mal Scham, nämlich dann wenn wir lernen zu krabbeln und zu laufen. Wir erkunden die Welt ohne abschätzen zu können, was gut und sicher ist. An der Tischdecke ziehen, mit dem ergatterten Messer spielen, auf die Treppen zusteuern, heiße Herdplatten untersuchen, in Steckdosen rumfummeln usw. Alles Dinge, die das Kind super spannend und großartig findet, weil es endlich selbstwirksam etwas tun kann. Es schaut während der Aktion zu den Eltern, um sich dort wie gewohnt das Lob für seine neuen Fähigkeiten und seinen Abenteuergeist abzuholen. Doch die Eltern reagieren völlig anders als erwartet! Statt Beifallsrufe und ein freudiges bis begeistertes Gesicht kommt von den Eltern ein erschreckter bis ärgerlicher Gesichtsausdruck und ein scharfen Nein oder Hör auf.

Diese Reaktion der Eltern löst im Kind eine Erstarrung aus.
Einerseits ist das gut und wichtig. Die Eltern haben in dem Kind das Gefühl der Scham ausgelöst und es damit davor bewahrt, sich zu verbrennen, schneiden, verletzen.

Andererseits ist das kein schöner Moment für das Kind. Der strenge Blick oder scharfe Zuruf lässt das Kind kollabieren wie einen Luftballon, dem die Luft entweicht. Früher hat es für jeden Pups Applaus bekommen. Jetzt hat es was wirklich tolles machen wollen und bekommt dafür die schlimme Rückmeldung FALSCH VERKEHRT und erstarrt vor Scham.

Wenn ich mich schäme, werden in diesem Moment die menschlichen Basis-Bedürfnisse negiert. Wenn ich mich schäme, fühle ich mich
. nicht sicher (Sicherheit)
. nicht wichtig (Bedeutung)
. nicht geliebt oder Teil der Gemeinschaft (Zugehörig)
. kann keinen Beitrag leisten (Sinn stiften)
. kann nicht wachsen (damit ist nicht die Körperlänge gemeint…)
Wenn meine menschlichen Basis-Bedürfnisse nicht erfüllt werden, kreiert das zusätzlichen Stress. Mein Körper schüttet zusätzlich Adrenalin und Cortisol aus.

 

Wie die Scham auflösen?

Eigentlich ist es ganz einfach, die Scham und damit das der Gefühl des „ich bin falsch“ in diesem Moment aufzulösen. Sobald die Gefahr gebannt ist, müssen die Eltern dem Kind rückmelden und es spüren lassen, dass es geliebt und richtig ist. Sobald das Kind sich wieder zugehörig und sicher und geliebt fühlt, löst sich die Scham auf.

Wenn das nicht geschieht, das Elternteil sich vielleicht sogar genervt abwendet oder einen Satz hinterherschiebt wie „kannst du nicht einmal / schau nicht so, bist selber schuld / schäm dich / etc“, dann kommt das Kind aus dieser Erstarrung nicht raus. Das Gefühl falsch zu sein bleibt bestehen und wird zur toxischen Scham.

 

Wie erkenne ich toxische Scham?

Wenn dir jemand sagt, dass er dich mag und du deswegen plötzlich Scham empfindest.
Wenn du komisch oder überhaupt ungerne abtanzt, weil du dich nicht traust und sich das so komisch anfühlt.
Wenn du dich freust und ganz schnell einen Deckel drauf machst, weil es dir peinlich ist das offen zu zeigen.
Wenn du dich nicht traust, Verletzlichkeit zu zeigen, weil dir das unangenehm ist.
Wenn du Augenkontakt vermeidest.

All das sind Indikatoren, dass du toxische Scham im System hast, eine miese Konditionierung sozusagen.
Bei manchen resultiert toxische Scham in Rage. Eine tiefere innere Wut, die hin und wieder Bahn bricht und alles im Umkreis versucht zu vernichten.

 

Schuld vs. Scham

Zwischen Schuld und Scham ist ein riesen Unterschied! Denn wenn ich an etwas Schuld bin, habe ich etwas getan, was nicht richtig war. Oft kann ich das wieder gut machen.
Wenn bei mir Scham ausgelöst wird, bedeutet das, dass ICH falsch bin. Nicht meine Handlung, sondern ich. Ich bin im Kern falsch. Das kann ich nicht reparieren, außer ich verschwinde.

 

Was jetzt machen?

Wenn du eine Mutter von einem Kleinkind bist, immer dran denken, die Erstarrung nach dem Moment des Beschämens aufzulösen. Deinem Kind sagen und zeigen, dass es selber völlig in Ordnung ist und geliebt wird, dass lediglich seine Handlung gerade unpassend war.

Wenn das Kind schon in den Scham-Brunnen gefallen ist, du also damals unbeabsichtigt deinem Kind dieses „Ich bin falsch“ Gefühl vermittelt hast, dann komm mit deinem Kind vorbei und wir lösen es auf.
Wenn du als Erwachsene merkst, dass du selber betroffen bist, dann lass es uns angehen, denn ich arbeite zwischendurch auch durchaus gerne mit Erwachsenen.

 

Und immer daran denken: Du bist in Ordnung!

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